Jäger
Tripel-As

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Erhard Eppler: Gefährliche Vision
In unseren Medien wird häufig beklagt, dass in Deutschland niemand mehr Visionen habe. Das stimmt und das hat seine Gründe. In Amerika ist das anders. Nur sind die Visionen dort nicht die unseren. Präsident Bush beschwört fast jeden Tag seine Visionen vom friedlichen, demokratischen, vom amerikanischen Beispiel beflügelten Nahen Osten, auch wenn seine Art, diese Visionen zu verwirklichen, im Gewaltchaos Irak zu enden scheint.
Nun hat auch einer seiner Berater eine Vision angeboten, und zwar in einem 800-Seiten-Werk, das leider noch nicht ins Deutsche übersetzt ist. Der Autor ist Ökonom und Historiker, ein blitzgescheiter Mann und heißt Philipp Bobbit.
Für ihn läuft die Weltgeschichte auf den Marktstaat zu, den "market state", in dem der Staat nur noch dafür verantwortlich ist, dass die Märkte funktionieren, während die Bürgerinnen und Bürger sich die "opportunities", die günstigen Gelegenheiten, zunutze machen sollen, welche die Märkte bieten, auch der Arbeitsmarkt, der Bildungsmarkt, nicht zuletzt der Sicherheitsmarkt mit seinen privaten Sicherheitsfirmen. Zwischen Staat und Bürger schiebt sich der Markt. Der Staat ist verantwortlich dafür, dass der Arbeitsmarkt, möglichst dereguliert, funktionieren kann. Er ist nicht zuständig für die Menschen, die keine Arbeit finden. Der Staat ist nicht verpflichtet, als Inhaber des Gewaltmonopols für Sicherheit zu sorgen. Sie ist am Markt erhältlich, für alle, die es sich leisten können. Die es nicht können, haben Pech gehabt. Was dem Markt überlassen wird, muss notwendig zur Ware werden. Und die kann sich eben der eine kaufen, die andere nicht.
Sicher, den Bobbit´schen Marktstaat gibt es so noch nicht in den USA. Aber vieles, was heute politisch verfochten wird, bekommt erst seinen präzisen Sinn, wenn man den Marktstaat als Ziel unterstellt. Auch bei uns.
Keine Partei hat den Marktstaat im Programm. Aber wer bei jeder Sachfrage beteuert, die Kräfte des Marktes seien immer klüger als die Willensbildung im demokratischen Staat, steuert darauf zu. Und das gilt sicher für die FDP. Wenn sie sich, meist ohne klare Gegenvorschläge, als Alternative zur Großen Koalition feiert, dann meint sie genau dies: Sie sieht sich auf dem Weg zum Marktstaat, und sie tadelt Angela Merkel, die davon abgekommen ist. Übrigens nicht, weil sie mit einer Großen Koalition arbeitet, sondern weil die Wähler vor einem Jahr klargemacht haben: Das wollen wir nicht.
Der demokratische Rechts- und Sozialstaat war die Alternative zur Kommunistischen Volksdemokratie. Und hat gewonnen. Er ist auch die Alternative zum Marktstaat. Und wird gewinnen, zumindest in Europa. Im demokratischen Rechts- und Sozialstaat darf alles dem Markt überlassen werden, was zu Ware taugt. Für Autos oder Kühlschränke gilt Angebot und Nachfrage.
Aber Bildung ist keine Ware, sondern ein Menschenrecht, dem der Staat zu dienen verpflichtet ist. Sicherheit vor Verbrechen ist eine Bringschuld des Staates, weil er das Gewaltmonopol für sich in Anspruch nimmt, keine Ware. Ärztliche Hilfe bei Krankheit ist ein Bürgerrecht, auch für Menschen, die sie nicht bezahlen können. Und so fort.
Im Marktstaat wird der Bürger langsam aber sicher zum Kunden, Politik wird gegenstandslos, für die Kundinnen und Kunden uninteressant. Denn sie können sich auf den Staat nicht mehr verlassen, wenn sie alt, krank, arbeitslos werden. Und der Marktstaat braucht ihr Engagement gar nicht.
Nein, es ist keine Vision, dafür zu sorgen, dass nicht zur Ware wird, was nicht zur Ware werden darf. Aber es ist des Schweißes der Edlen wert.
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